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Zweifel an Krankmeldungen: (Neue) Chancen für Arbeitgeber


Ausgabe Oktober 2024
Geschrieben von

Thorsten Sierk

In Konfliktsituationen – insbesondere in Trennungsszenarien – kommt es nicht selten dazu, dass sich Arbeitnehmer mehr oder weniger postwendend krankmelden. Lange Zeit standen Arbeitgeber diesem Phänomen hilflos gegenüber: Die ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert, der Arbeitgeber aber regelmäßig keine Kenntnis darüber, ob der Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt ist. Die bloße Vermutung, dass der Mitarbeiter in Wirklichkeit gar nicht krank ist, nützt ihm wenig. Jedoch gibt die Rechtsprechung bereits seit einiger Zeit vermehrt (für Arbeitgeber positive) Antworten auf die Frage, welche Indizien den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können.

Insbesondere in Trennungsszenarien oder in konfliktbeladenen Arbeitsverhältnissen kann es lohnenswert sein, sich die Umstände der Krankmeldung genauer anzusehen: Denkbar ist in geeigneten Fällen etwa, die Entgeltfortzahlung einzustellen oder sogar eine ggf. fristlose Verdachtskündigung auszusprechen. Bereits in unserem diesjährigen Januar-Newsletter haben wir über einige dieser Entwicklungen berichtet. Im vorliegenden Artikel möchten wir die Ausstellung der Bescheinigung näher in den Blick nehmen und zudem die Konsequenzen beleuchten, die ein „erschütterter Beweiswert“ für einen arbeitsgerichtlichen Prozess hat.

Im Juni 2023 entschied das BAG (Urt. v. 28.06.2023 – 5 AZR 335/22), dass bestimmte Verstöße gegen die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie – eine Richtlinie, welche insbesondere von Ärzten einzuhaltende Regeln für die Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit festschreibt – den Beweiswert von Krankschreibungen erschüttern können. Dazu zählt ein Verstoß gegen die Pflicht des Arztes, die Bescheinigung regelmäßig nicht für längere Zeiträume als zwei Wochen auszustellen und nicht rückzudatieren. Letzteres ist nur in Ausnahmefällen und in der Regel maximal für drei Tage möglich. Ferner soll die Untersuchung im Normalfall unmittelbar persönlich erfolgen, für Untersuchungen per Videosprechstunde oder gar per Telefon gelten besondere Regelungen, insbesondere betreffend Art der Krankheit und Dauer der Krankschreibung.

Das LAG Niedersachsen folgte diesem Urteil (Urt. v. 18.04.2024 – 6 Sa 416/23) und nahm eine Erschütterung des Beweiswerts an, als eine Krankschreibung telefonisch und für einen zu langen Zeitraum ausgestellt wurde. In einem weiteren Urteil (Urt. v. 30.07.2024 – 10 Sa 699/23) hatte das Gericht ebenfalls Zweifel an der Krankschreibung, da auch hier der Ausstellungszeitraum der Krankschreibung zu lang war und der Arbeitnehmer ferner nach einem Streit trotz Krankschreibung direkt nach Ende der Kündigungsfrist eine neue Stelle antrat. Soweit bekannt oder aus der (elektronischen) Bescheinigung ersichtlich, lohnt es sich also, auch derartige Umstände der Bescheinigung selbst zu prüfen. Maßgeblich ist am Ende immer eine Gesamtbetrachtung.

Was folgt nun aus einem „erschütterten Beweiswert“? Zunächst dreht sich hierdurch „nur“ die Darlegungs- und Beweislast im Prozess, das heißt der Arbeitgeber ist noch nicht am Ziel. Der Arbeitnehmer muss nun aber sehr genau vortragen – und im Zweifel z.B. durch Vernehmung des behandelnden Arztes beweisen – dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Die Anforderungen sind hoch, sodass Arbeitnehmer schon hier scheitern können. Sie müssen etwa vortragen, welche Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden und wie sich all dies auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt hat. Im Falle von Verstößen gegen die Arbeitsunfähigkeitsrichtline ist ggf. Vortrag dazu erforderlich, dass und warum ausnahmsweise von den Regelvorschriften abgewichen worden ist, bspw. eine Krankheit für länger als zwei Wochen bescheinigt wurde. Nur wenn dies gelingt, muss überhaupt der Arzt als Zeuge vernommen werden. Dass dieser die Aussagen des Arbeitnehmers vollständig bestätigen kann, ist nicht ausgemacht. In der Praxis wird sich der Arzt die genannten vertieften Gedanken zu den erforderlichen Darlegungen oftmals gar nicht gemacht, geschweige denn diese noch erinnerlich oder protokolliert haben. Teils findet bei derartigen Krankschreibungen nicht einmal eine wirkliche Untersuchung statt, sondern der Arzt übernimmt ungeprüft, was der Patient ihm vorträgt. Das LAG Schleswig-Holstein kam in einem Fall (Urt. v. 02.05.2023 – 2 Sa 203/22) gar zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin ihren Arzt über ihre angeblichen Beschwerden schlicht angelogen hatte.

Bei all den Vorteilen dieser neuen Entwicklungen aus Arbeitgebersicht sollte nicht vergessen werden: Nicht jede Krankschreibung im zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder mit einem Konflikt kann angegriffen werden. Selbstverständlich können Krankheiten zufällig in diesen Zeitraum fallen oder gar mit den Streitigkeiten zusammenhängen – man denke etwa an hierdurch ausgelöste psychische Beschwerden. Erfolgt dann eine den Regeln der Kunst entsprechende Krankschreibung und verteidigt sich der Arbeitnehmer vor Gericht ordnungsgemäß, hat er selbst dann gute Karten, wenn zuvor große Zweifel an der Bescheinigung bestanden. Insgesamt sollten Arbeitgeber aber ihre Möglichkeiten genau prüfen und angesichts einer ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gleich „die Segel streichen“.