Zufällig krank bis zum letzten Arbeitstag? – Zum Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Dr. Cornelius Lindemann
Nach einer Kündigung werden manche Beschäftigte von einer plötzlichen Krankheit heimgesucht. Die darauf folgende passgenaue Krankschreibung bis zum letzten Arbeitstag führt dann nicht selten zu dem Verdacht, dass diese nicht völlig zufällig genau bis zu diesem Zeitpunkt reicht. Der Beweiswert eines ärztlichen Attests ist zwar hoch, aber nicht unerschütterlich. Hierzu hat das BAG nun in seinem Urteil vom 13. Dezember 2023 eine neue Entscheidung vorgelegt, die seine bisherigen Äußerungen hierzu aus der jüngeren Vergangenheit (s.u.) erweitert.
Arbeitgeber leisten gem. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In der Regel erfolgt der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit über den „Gelben Schein“ – die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese kann im Übrigen trotz Einführung der elektronischen Meldung nach wie vor auch in Papierform als Beweismittel verwendet werden. Wie der Gesetzentwurf ausführt „bleibt dem Arbeitnehmer die Papierbescheinigung als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert erhalten“ (BR-Drs. 454/19, 35).
Dieser hohe Beweiswert ist nur durch erhebliche und objektiv begründete Zweifel zu erschüttern. Nach einer Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2021 können sich solche Zweifel beispielsweise daraus ergeben, dass eine am Tag einer Eigenkündigung ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (BAG, Urteil v. 8. September 2021 – 5 AZR 149/21).
Dem Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern erschien im vergangenen Jahr in einem anderen Fall allerdings weder verdächtig, dass eine einige Tage nach Ausspruch einer Eigenkündigung bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau am letzten Arbeitstag des Arbeitnehmers – einem Donnerstag – endete, noch dass der Arbeitnehmer an seinem letzten Arbeitstag vor Beginn der Krankheit offenbar sein Büro vollständig aufgeräumt hinterlassen und im Büro seinen Büroschlüssel und den Schlüssel für den Aktenschrank zurückgelassen hatte. Das Ende des Krankheitszeitraumes sei zwar unüblich, fand das LAG, dies sei aber vor dem Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses plausibel. Auch der Vortrag des Klägers, „er [sei] ein Mann, der keine privaten Gegenstände in seinem Büro benötige“ und er habe den Büroschlüssel schlicht vergessen, überzeugte offenbar das Gericht (LAG MV, Urteil v. 8. Februar 2023 – 3 Sa 135/22). Am 13. Dezember 2023 (Az.: 5 AZR 137/23) meldete sich nun das BAG erneut zur passgenauen Krankschreibung zu Wort: Nach der Pressemitteilung war ein Arbeitnehmer bereits kurz vor der Kündigung durch den Arbeitgeber laut der Erstbescheinigung zunächst für eine Arbeitswoche arbeitsunfähig erkrankt gewesen, ließ die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann aber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am Monatsende verlängern. Am darauffolgenden Tag trat er ein neues Arbeitsverhältnis an. Während die Vorinstanz dieses Verhalten offenbar noch unverdächtig fand, urteilte das BAG nun anders:
Die ursprüngliche Krankschreibung vor Ausspruch der Kündigung sei zwar nicht zu beanstanden. Die passgenaue Verlängerung bis unmittelbar vor Antritt eines neuen Arbeitsverhältnisses führe aber nach der vorzunehmenden einzelfallbezogenen Würdigung der Gesamtumstände zur Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das LAG habe demnach nicht ausreichend berücksichtigt, dass (wenn auch nicht zwischen Kündigung und erster Krankmeldung) zumindest zwischen der passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen habe. Nun wird es wieder Sache des klagenden Arbeitnehmers sein, konkrete Tatsachen zum Beleg der Arbeitsunfähigkeit darzulegen und ggf. zu beweisen, z.B. durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach Befreiung von der Schweigepflicht.
Auch nach dieser Entscheidung wird es zwar auch künftig bei passgenauen Krankschreibungen auf den konkreten Einzelfall ankommen. Entschieden ist nun aber, dass nicht nur eine erstmalige Krankschreibung bei Ausspruch der Kündigung, sondern auch die Folgebescheinigung(en) zu einer ursprünglich legitim erscheinenden Erstbescheinigung den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können. Ferner erweitert das BAG seine Rechtsprechung nun auch auf Kündigungen durch den Arbeitgeber. Arbeitgeber sollten aus diesen Gründen künftig Krankmeldungen im zeitlichen Kontext jedweder Kündigung noch genauer als bisher auf ungewöhnliche Umstände prüfen.