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Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte


Ausgabe Januar 2025
Geschrieben von

Dr. Matthias Münder

Für Arbeitgeber können in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen große finanzielle Risiken schlummern, wenn nicht laufend geprüft wird, ob die Regelwerke mit der neusten Rechtsprechung im Einklang stehen. Ein Urteil des BAG aus Dezember 2024 (Urt. v. 5.12.2024 – 8 AZR 370/20) sollte nun Anlass für eine solche Prüfung sein. In der Entscheidung ging es um tarifvertragliche Überstundenzuschläge und eine nicht ungewöhnliche Regelung: Überstunden werden vergütet; einen Überstundenzuschlag sollte es aber erst geben, wenn eine bestimmte Stundengrenze überschritten war – die regelmäßige Arbeitszeit einer Vollzeitkraft.

Diese Tarifregelung hält das BAG für unwirksam, da mit ihr Teilzeitkräfte wegen der Teilzeittätigkeit benachteiligt und Frauen mittelbar diskriminiert würden. Zu diesem Ergebnis gelangte das BAG, nachdem es zuvor den EuGH eingeschaltet hatte (Urt. v. 29.7.2024 – C-184/22, C-185/22).

Dass die Tarifnorm Teilzeitbeschäftigte benachteiligt, begründen EuGH und BAG kurz zusammengefasst wie folgt: Vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter erhalten ab der ersten Arbeitsstunde, die sie über ihre regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, einen Überstundenzuschlag. Demgegenüber erhalten Teilzeitbeschäftigte für Arbeitsstunden, die zwar über die in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen, aber unter der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten liegen, keinen Überstundenzuschlag. Es ist daher für den Arbeitgeber finanziell günstiger, eine Teilzeitkraft jenseits der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu beschäftigen als eine Vollzeitkraft. Das Argument, dass Teilzeitbeschäftigte gar nicht benachteiligt, sondern mit Vollzeitbeschäftigten gleichbehandelt würden, da beide Gruppen ab derselben Schwelle einen Zuschlag erhielten, ließ der EuGH nicht gelten. Seiner Ansicht nach darf nicht isoliert auf die Stundenzahl abgestellt werden, sondern es muss zwingend die vertragliche Arbeitszeit berücksichtigt werden. Zwar ist es theoretisch denkbar, die von EuGH und BAG festgestellte Benachteiligung zu rechtfertigen – mit der Folge, dass die Regelung zulässig ist. Praktisch ist dies aber kaum vorstellbar, da die Hürden hoch sind.

Zusätzlich lag in der Regelung laut dem BAG eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung. Die Tarifregelung sah zwar nicht vor, dass Männer einen Überstundenzuschlag erhalten und Frauen nicht – es handelte sich also nicht um eine „unmittelbare“ Benachteiligung. „Mittelbar“ waren Frauen aber benachteiligt, da ihr Anteil an den – benachteiligten – Teilzeitbeschäftigten deutlich höher war als an den in Vollzeit tätigen Personen.

Künftig darf in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen daher die Schwelle für einen Überstundenzuschlag nicht pauschal bei der Vollzeitstundenzahl festgelegt werden. Vielmehr muss ein Überstundenzuschlag in aller Regel die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit berücksichtigen. Dies bedeutet, dass ein Überstundenzuschlag bereits für die 21. Arbeitsstunde fällig sein kann, wenn eine regelmäßige Arbeitszeit von 20 Stunden vereinbart ist, obwohl eine Vollzeitkraft für die 21. Arbeitsstunde keinen solchen Zuschlag erhält.

Abschließend: Was passiert, wenn eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag aktuell die – unwirksame – Regelung enthält, nach der ein Überstundenzuschlag erst gezahlt wird, wenn die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten ist?

In o.g. Verfahren sprach das BAG der Mitarbeiterin wegen der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung eine Entschädigung in Höhe von EUR 250,00 zu. Dies ist für sich genommen nicht viel, kann aber je nach Belegschaftsgröße eine schmerzhafte Größe erreichen, da jede mittelbar wegen des Geschlechts diskriminierte Person eine solche Entschädigung geltend machen könnte.

Noch schwerwiegender dürfte sein, dass das BAG der Klägerin einen Anspruch auf den – tarifvertraglich eigentlich nicht vorgesehenen – Überstundenzuschlag ab Überschreitung ihrer vereinbarten Teilzeit-Arbeitszeit zusprach (sog. „Anpassung nach oben“). Nach der Rechtsprechung kann die Ungleichbehandlung nur dadurch beseitigt werden, der benachteiligten Person einen Anspruch auf die Begünstigung zuzusprechen. Dies hat für Arbeitgeber eine gravierende Auswirkung. Denn die Kalkulationsgrundlage verändert sich ungewollt. Ging es in der Verhandlung mit dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft noch darum, einen bestimmten Geldbetrag – einen „Geldtopf“ – unter der Belegschaft zu verteilen, wird der Arbeitgeber nun nachträglich gezwungen, den Topf zu vergrößern und mehr Geld bereitzustellen, als ursprünglich geplant. Diese Vorgehensweise der Rechtsprechung ist für Arbeitgeber misslich und insgesamt kritikwürdig, aber gang und gäbe.