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Kündigung und Annahmeverzug: Gestaltungsmöglichkeiten im Kündigungsschutzverfahren


Ausgabe Juli 2023
Geschrieben von

Thorsten Sierk

Das Kündigungsschutzverfahren ist ein sog. Bestandsschutzverfahren. Das Gericht prüft lediglich, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht. Ist sie wirksam, scheidet der Arbeitnehmer (von einigen Sonderkonstellationen einmal abgesehen) zum Beendigungstermin ohne Abfindung aus. Ist die Kündigung unwirksam, läuft das Arbeitsverhältnis weiter, der Arbeitnehmer ist zu den bisherigen Konditionen fortzubeschäftigen. Dies kann sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber misslich sein. Für den Arbeitnehmer ist sie insofern misslich, als er zwar häufig tendenziell bessere Erfolgsaussichten, jedoch oftmals gar kein Interesse daran hat, wieder zu dem Arbeitgeber zurückzukehren, mit dem das „Tischtuch bereits zerschnitten“ ist. Der Arbeitgeber erreicht im Fall des eigenen Obsiegens vor Gericht zwar sein Ziel, jedoch trägt er regelmäßig das höhere Prozessrisiko da er im Falle des Verlusts des Rechtsstreits in der Regel den Lohn des Arbeitnehmers für die Zeit des Kündigungsverfahrens zu zahlen hat (sog. Annahmeverzugslohn).

Dieser besonderen Situation ist es geschuldet, dass arbeitsgerichtliche Verfahren oftmals mit einem Vergleich enden: Der Arbeitgeber erhält die gewünschte Trennung vom Arbeitnehmer, der Arbeitnehmer lässt sich seinen Abschied mit einer Abfindung und/oder anderen Leistungen „versilbern“.

Die Verhandlungsposition des Arbeitgebers hängt unter anderem davon ab, wie gut sich die Kündigung im Verfahren begründen lässt. Maßgeblich ist jedoch auch, welche Konsequenzen aus dem Verlust eines Rechtsstreites drohen. An dieser Stelle kommt der o.g. Annahmeverzugslohn ins Spiel. Rechtlich steht dem Arbeitnehmer im Falle seines Obsiegens nämlich ein durchgehender (gegenleistungsloser) Gehaltsanspruch zu – und zwar auch nach Ablauf der Kündigungsfrist. Dieser Umstand stellt gerade in langwierigen Kündigungsrechtsstreiten ein erhebliches Drohpotenzial gegenüber dem Arbeitgeber dar. Der Arbeitnehmer hat sich auf seinen Annahmeverzugslohn jedoch einerseits anderweitige Einkünfte (etwa aus einem neuen Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber) andererseits aber auch dasjenige anrechnen zu lassen, was er „zu erwerben böswillig unterlässt“.

Letzteres bietet dem Arbeitgeber eine Möglichkeit, das Prozessrisiko etwas zu minimieren. Der (ehemalige) Arbeitnehmer ist sozialversicherungsrechtlich nämlich verpflichtet, sich eine neue Beschäftigung zu suchen – und zwar auch dann, wenn er mit dem (alten) Arbeitgeber noch über die Wirksamkeit der Kündigung streitet. Unterlässt der Arbeitnehmer zumutbare Bewerbungsbemühungen, so handelt er unter Umständen böswillig und muss sich so behandeln lassen, als hätte er sich ausreichend beworben und einen neuen Job gefunden: Sprich, der Annahmeverzugslohn wird – ggf. bis auf Null – gekürzt.

Diese Rechtslage hat jedoch einen Haken: Der Arbeitgeber weiß in der Regel nicht, ob, wie und wie häufig der Arbeitnehmer sich beworben hat. Er trägt jedoch für den Einwand des „böswilligen Unterlassens“ die Darlegungs- und Beweislast. Hier ist den Arbeitgebern vor einigen Jahren das Bundesarbeitsgericht (BAG) zur Hilfe gekommen und hat dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch in Bezug auf die dem Arbeitnehmer von der Arbeitsagentur übermittelten Jobangebote zugebilligt. Inwiefern dem Arbeitgeber darüber hinaus Auskunftsansprüche – etwa bezüglich eigeninitiativer Bewerbungen – zustehen, ist nicht abschließend geklärt. Nach gegenwärtigem (und im Fluss befindlichen) Stand der Rechtsprechung, bedarf der Arbeitgeber hierfür konkreter Anhaltspunkte für ein böswilliges Unterlassen von Bewerbungsbemühungen. Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, dem Arbeitnehmer während des Rechtsstreits arbeitgeberseitig in gewissen Abständen (bspw. wöchentlich oder zweiwöchentlich) Ausschreibungen zumutbarer Stellen zu übermitteln. Verlangt der Arbeitnehmer nach gewonnenem Kündigungsverfahren dann wegen Nichtantritts einer neuen Stelle vollen Annahmeverzugslohn, spricht einiges dafür, dass dem Arbeitgeber ein Auskunftsanspruch in Bezug auf die Bewerbungsaktivitäten hinsichtlich der übermittelten Stellenangebote zusteht. Ob sich aus dieser Auskunft dann ein zur Anrechnung führendes böswilliges Unterlassen ergibt, hat dann aber wieder der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen – die genauen Voraussetzungen hierfür sind ebenfalls stark umstritten.

Hinsichtlich dieser Voraussetzungen können Arbeitgeber mit einem kürzlich ergangenen Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 30.9.2022 – 6 Sa 280/22) argumentieren: Hier verlangte der im Kündigungsstreit obsiegende Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn für die vergangenen knapp dreieinhalb Jahre (!). Der Arbeitnehmer hatte hier sämtliche (auch eigeninitiative) insgesamt 103 Bewerbungen offengelegt. Das Gericht bejahte ein böswilliges Unterlassen und nahm eine Reduzierung des Annahmeverzugslohns bis auf Null vor. 103 Bewerbungen entsprächen in dem genannten Zeitraum nicht einmal einer Bewerbung pro Woche, der Arbeitnehmer hätte aber Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle entfalten müssen. Ferner hätten einige Bewerbungen auch qualitative Mängel aufgewiesen.

Ob sich diese erfreulich eindeutige und klare Sichtweise des LAG Berlin-Brandenburg auch in der weiteren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung fortsetzt, bleibt abzuwarten. Das LAG Hessen hat vor Kurzem etwa in Zweifel gezogen, ob der Arbeitnehmer sich überhaupt eigeninitiativ bewerben müsse und jedenfalls die Verpflichtung zu einer bestimmten „Mindestanzahl“ an Bewerbungen abgelehnt (Urt. v. 25.6.2021 – 10 Sa 1233/20). Gleichwohl bietet das LAG Berlin-Brandenburg aber bereits jetzt argumentatives Futter, um die Verhandlungsposition in Vergleichsgesprächen zu optimieren.

 

[1] Aus Gründen der Lesbarkeit umfasst die männliche Form in diesem Newsletter stets alle Geschlechter (m/w/d).