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Kein Verwertungsverbot bei offener Videoüberwachung trotz Datenschutzverstößen


Ausgabe Oktober 2023
Geschrieben von

Dr. Nina Tholuck

Datenschutzverstöße können erhebliche negative Folgen für Arbeitgeber haben. Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 29.06.2023, 2 AZR 296/22) droht aber jedenfalls bei der prozessualen Verwertung von Beweisen, die bei einer offenen Videoüberwachung unter Verstoß gegen Datenschutznormen erlangt sind, kein Ungemach.

In der Entscheidung des BAG warf die beklagte Arbeitgeberin dem Kläger – einem Gießereimitarbeiter – vor, eine Arbeitsschicht nicht geleistet, diese aber gleichwohl vergütet bekommen zu haben. Die Beklagte sprach daraufhin eine außerordentliche Kündigung aus. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in dem sich anschließenden Kündigungsschutzprozess hatte der Kläger an dem betreffenden Tag zwar das Werksgelände zunächst betreten. Die Auswertung der Aufzeichnungen der durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera am Tor des Werksgeländes ergab nach dem Vorbringen der Beklagten aber, dass der Kläger dieses vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte.

Anders als die Vorinstanzen kam das BAG zu dem Ergebnis, dass diese Aufzeichnungen im Prozess verwertbar seien. Es urteilte, dass in einem Kündigungsschutzprozess grundsätzlich kein Verwertungsverbot im Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung bestehe, die vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Dies gelte auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts stehen. Das BAG begründet dies zutreffend damit, dass die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers durch die Beweisverwertung nicht hinreichend beeinträchtigt seien, wenn sich der Arbeitnehmer in Kenntnis der Videoüberwachung bewusst dafür entscheide, eine Pflichtverletzung zu begehen.

Konsequenterweise führte das Bundesarbeitsgericht dann – ohne diesbezüglich eine finale Entscheidung zu treffen – weiter aus, dass ein Verwertungsverbot aber jedenfalls dann in Betracht komme, wenn sich die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers als solche trotz ihrer offenen Durchführung als schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle. Eine solche Grundrechtsverletzung sei zum Beispiel bei offener Überwachung von Toiletten oder Umkleideräumen oder offener Dauerüberwachung ohne Rückzugsmöglichkeit denkbar.

Besonders interessant ist schließlich die weitere Aussage des BAGs, dass auch ein in einer Betriebsvereinbarung normiertes Verwertungsverbot keine Auswirkungen auf das prozessuale Verwertungsrecht der Gerichte hat. Eine im Betrieb des Arbeitgebers geltende Betriebsvereinbarung über die Einführung der elektronischen Arbeitszeiterfassung sah nämlich vor, dass „keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt“. Diese Bestimmung sei aber für den Prozess unerheblich. Den Betriebsparteien fehle nämlich die Regelungsmacht, ein über das formelle Verfahrensrecht der ZPO hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen oder die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam zu beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachen über betriebliche Geschehnisse vorzubringen und dies unter Beweis zu stellen. Es scheint damit so, als wären in der Vergangenheit geführte Diskussionen über die Formulierung von Verwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen Streitigkeiten um des Kaisers Bart gewesen.