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Gesetzlicher Urlaub für den GmbH-Fremdgeschäfts­führer?


Ausgabe Januar 2024
Geschrieben von

Thorsten Sierk

Bereits aus unseren vergangenen Newslettern wurde deutlich: Das Urlaubsrecht unterliegt einem steten Wandel. Hintergrund ist nicht, dass der deutsche Gesetzgeber das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ständig ändern würde, sondern, dass das Urlaubsrecht in großen Teilen auf europarechtlichen Grundlagen fußt. Insoweit hat der EuGH hier ein Wörtchen mitzureden, was die deutschen Gerichte in großer Regelmäßigkeit zur Verschärfung ihrer (Urlaubs)rechtsprechung zwingt.

Auch in einer kürzlich ergangenen Entscheidung des BAG (Urteil vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 43/22) spielt das Europarecht eine entscheidende Rolle. Das BAG sprach einer (ehemaligen) Fremdgeschäftsführerin einen gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG zu. Voraussetzung hierfür war, dass die Geschäftsführerin als „Arbeitnehmerin“ im Sinne dieser Vorschrift eingeordnet werden musste. Nach deutschem Begriffsverständnis sind auf Grundlage eines Dienstvertrages angestellte Geschäftsführer1 aber nur „in extremen Ausnahmefällen“ Arbeitnehmer und zwar wenn der Gesellschaft weit über das normale

Maß hinausgehende Weisungsrechte eingeräumt worden sind. Ansonsten gilt: Der Geschäftsführer steht im Arbeitgeberlager und ist damit kein Arbeitnehmer.
Hier kommt jedoch beim BUrlG das Europarecht ins Spiel: In der aktuellen Entscheidung hat das BAG nämlich nicht den deutschen, sondern den europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff zugrunde gelegt. Dies ist nicht sonderlich überraschend, schließlich zeichnete sich in der Rechtsprechung zu anderen deutschen Gesetzen mit europäischer Grundlage schon seit Längerem eine ähnliche Herangehensweise ab. Konkret entschieden war es für das BUrlG aber noch nicht. Der europäische Arbeitnehmerbegriff ist jedoch in Bezug auf Geschäftsführer deutlich weitgehender als der deutsche. Der EuGH nimmt zwar ebenfalls eine Abwägung im Einzelfall vor, grundsätzlich genügen ihm für eine Einordnung eines Geschäftsführers als Arbeitnehmer jedoch bereits das „normale“ gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht der Gesellschaft sowie die jederzeitige Abberufungsmöglichkeit des Geschäftsführers. Damit ordnet der EuGH sowohl Fremdgeschäftsführer als auch Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer in der Regel als Arbeitnehmer ein.
Bei Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses hat das BAG im genannten Urteil die Fremdgeschäftsführerin (die auch ohnehin ungewöhnlich starken Weisungen unterworfen war) als Arbeitnehmerin eingeordnet und ihr die beantragte Urlaubsabgeltung zugesprochen. Es ist davon auszugehen, dass das BAG diese Rechtsprechung über den Urlaubsabgeltungsanspruch hinaus auf das gesamte BUrlG erstrecken wird, sodass in der Regel auf Fremd- und wohl auch Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer das BUrlG in Gänze – einschließlich der in den letzten Jahren deutlich verschärften Rechtsprechung – Anwendung finden wird. Sollte das Thema noch nicht kompliziert genug gewesen sein, bietet der Fall noch eine abschließende Wendung: Das BAG ist nämlich ganz regelmäßig für die Geltendmachung von Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen von Geschäftsführern überhaupt nicht zuständig, sondern dies obliegt der ordentlichen Gerichtsbarkeit und damit in letzter Instanz dem Bundesgerichtshof (BGH) und nicht dem BAG. Ob der BGH genauso entscheiden würde wie das BAG ist nicht ausgemacht, denn der BGH ist bei der Annahme eines Arbeitsverhältnisses bei GmbH-Geschäftsführern noch zurückhaltender als das BAG. Doch auch der BGH wird an der europarechtlichen Prägung des BUrlG vermutlich kaum vorbeikommen und hat bereits in der Vergangenheit in einer europarechtlichen Sonderkonstellation einen Fremd-Geschäftsführer als Arbeitnehmer eingeordnet (Urteil vom 26.3.2019 – II ZR 244/17).

Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten: Spätestens mit dem jüngsten BAG-Urteil sollte regelmäßig davon ausgegangen werden, dass Fremd- und wohl auch Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern gesetzliche Urlaubsansprüche zustehen. Aus Rechtssicherheitsgründen ist es daher ratsam, dies nicht nur im laufenden Anstellungsverhältnis (etwa Stichwort „Hinweisobliegenheiten“) und im Falle von Beendigungsszenarien (etwa Stichwort „Abgeltungsansprüche“), sondern bereits bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen und hier die umfangreicheren Klauseln für Arbeitnehmer zu verwenden.