Die Kündigung von Schwerbehinderten in der Probezeit
Dr. Matthias Lodemann
Die Kündigung von Mitarbeitern mit Sonderkündigungsschutz stellt sich regelmäßig als problematisch dar. In Bezug auf schwerbehinderte Mitarbeiter gilt: Erforderlich ist die Zustimmung des Integrationsamtes, die bereits vor Ausspruch der Kündigung vorliegen muss (§ 168 SGB IX). Eine Ausnahme von diesem Erfordernis sieht § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX vor: Die Kündigung von Mitarbeitern, deren Arbeitsverhältnis bei Kündigung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat, unterfällt der Zuständigkeit des Integrationsamtes nicht. Dies korrespondiert mit der oftmals etwas ungenau als Probezeit bezeichneten Wartezeit des § 1 KSchG: Während der ersten sechs Monate besteht auch kein allgemeiner Kündigungsschutz.
Unruhe brachte in diese an sich gefestigte Rechtslage zunächst ein Urteil des EuGH. Dieser entschied, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei schwerbehinderten Mitarbeitern auch in der Probezeit alternative Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht werden müssen (Urt. v. 10.2.2022 – C-485/20). Dies erinnert an die Verhältnismäßigkeitsprüfung im deutschen Recht bei Vorliegen des allgemeinen Kündigungsschutzes, die sich unter anderem in der Verpflichtung niederschlägt, vor Ausspruch einer Kündigung alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Hieraus zog ein nicht unerheblicher Teil der Presse und auch der juristischen Fachliteratur die Schlussfolgerung, dass auch während der Probezeit für Schwerbehinderte (mindestens) ein „Kündigungsschutz light“ gilt. Tatsächlich überzeugt das aber nicht: Der EuGH postulierte die Verpflichtung zum Prüfen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nämlich nur für solche Mitarbeiter, die „aufgrund [ihrer] Behinderung für ungeeignet erklärt wurde[n], die wesentlichen Funktionen [ihrer] bisherigen Stelle zu erfüllen“ (EuGH, a.a.O.). Mit anderen Worten: Nur dann, wenn die Schwerbehinderung (mit-)ursächlich für die Probezeitkündigung ist, müssen andere Möglichkeiten der Beschäftigung geprüft werden. Das überzeugt: Alles andere würde eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung von Schwerbehinderten begründen. Freilich ist abzuwarten, wie die (höchstrichterliche) Rechtsprechung sich positionieren wird.
Einen ersten Fingerzeig bietet eine erstinstanzliche Entscheidung des ArbG Köln (Urt. v. 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23). Mit ähnlichen Argumenten wie der EuGH stellte das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung eines Schwerbehinderten in der „Probezeit“ fest, weil der Arbeitgeber das sog. Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX, das u.a. eine Einschaltung von Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt vorsieht, nicht durchgeführt hatte. Dies sei eine Benachteiligung von Schwerbehinderten (was im Übrigen dann auch zu – im dortigen Fall nicht gegenständlichen – Entschädigungsansprüchen nach dem AGG führen könnte).
Diese Entscheidung überrascht vor dem Hintergrund, dass das BAG in nicht allzu weit zurückliegender Vergangenheit zur Vorgängernorm noch ausdrücklich geurteilt hatte, dass ein Präventionsverfahren in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht durchgeführt werden muss (Urt. v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14). Auch praktische Erwägungen konnten das ArbG Köln nicht überzeugen: Es sei zwar nicht gesichert, dass ein solches Verfahren innerhalb von sechs Monaten überhaupt abgeschlossen werden kann. Möglicherweise genüge es aber, das Präventionsverfahren zumindest zu beginnen, um dann alsbald risikofrei kündigen zu können (ArbG Köln, a.a.O.).
Es bleibt abzuwarten, wie sich die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage positionieren wird. Für den Augenblick kann aber nur dazu geraten werden, das Präventionsverfahren im Zweifel durchzuführen – was auch bedeutet, dass eine Probezeitkündigung von Schwerbehinderten nur noch dann risikofrei möglich ist, wenn diese recht frühzeitig eingeleitet wird. Ob damit dem beabsichtigten und lobenswerten Ziel des Schutzes dieser Personengruppe nicht vielmehr ein Bärendienst erwiesen würde, ist derzeit ebenfalls noch offen.