Bußgeld bei Verstoß gegen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?
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Dr. Maximilian Kulenkampff
In mehreren Newslettern hatten wir bereits über die Entscheidungen des EuGH und des BAG zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung berichtet (Oktober 2022 und Januar 2023). Die neueste Entscheidung in diesem Kontext stammt vom Verwaltungsgericht Hamburg (VG Hamburg v. 21.8.2024 – 15 K 964/24). Sie gibt erstmals praktische Einblicke in den Umgang der Kontrollbehörden mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.
Der Entscheidung lag ein Fall eines Arbeitgebers zugrunde, der zahlreiche Team- und Abteilungsleiter in „Vertrauensarbeitszeit“ beschäftigte. Die Arbeitszeiten dieser Mitarbeiter wurden nicht erfasst. Infolge eines anonymen Hinweises kam es nun zu einer unangekündigten Kontrolle durch die zuständige Kontrollbehörde. Diese erließ unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung (BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21) die Anordnung, in den kommenden Monaten die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten aller Beschäftigten aufzuzeichnen (inkl. täglichem Beginn, Ende und Dauer). Das Unternehmen wandte sich mit der Begründung gegen diese Anordnung, es bestehe keine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.
Dem folgte das VG Hamburg nicht. Es bestehe nach der BAG-Rechtsprechung auch ohne weitere Umsetzung des Gesetzgebers gemäß § 3 Abs 2 Nr. 1 ArbSchG die Pflicht, die gesamte tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Insoweit gebe es keine Ausnahmen für Vertrauensarbeitszeit. Wegen dieser Pflicht haben die Behörden gemäß § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG die Befugnis, die Arbeitszeiterfassung unter Androhung von Bußgeldern anzuordnen. Ferner kann die Behörde nach § 17 Abs. 4 ArbZG die Herausgabe von bereits vorhandenen oder von künftig zu erstellenden Arbeitszeitaufzeichnungen verlangen.
Inhaltlich ist die Entscheidung des VG Hamburg nicht überraschend. Schon bevor der EuGH (EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18) und das BAG (BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21) die allgemeine Zeiterfassungspflicht entwickelt hatten, wurde überwiegend vertreten, dass die Kontrollbehörden nach § 17 Abs. 2 ArbZG im Einzelfall eine Zeiterfassungspflicht anordnen dürfen. Die vom VG Hamburg nun herangezogene Anordnungsbefugnis unterscheidet sich davon inhaltlich nicht.
Die Entscheidung des VG Hamburg verdeutlicht jedoch die praktische Vorgehensweise der Behörden mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: 1) Die Behörden führen relativ selten Kontrollen durch. Meistens werden sie erst aufgrund konkreter Hinweise oder Beschwerden tätig. 2) Wenn die Behörde eine Kontrolle durchführt und der Arbeitgeber trotz der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bislang über kein Arbeitszeiterfassungssystem verfügt, kann sie allein deswegen kein Bußgeld verhängen. 3) Vielmehr trifft die Behörde erst einmal die Anordnung, zukünftig die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter zu erfassen. 4) Erst wenn ein Arbeitgeber gegen diese Anordnung der Arbeitszeiterfassung verstößt, drohen tatsächlich Bußgelder.
Diese Vorgehensweise deckt sich mit dem, was wir seit jeher unseren Mandanten mitteilen. Die Rechtsprechung mag eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung entwickelt haben und es empfiehlt sich schon aus Compliance-Gründen, diese auch einzuhalten. Es gibt jedoch – mit einigen Ausnahmen, etwa des § 16 Abs. 2 ArbZG (der eine Zeiterfassung nur für die täglich über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit sowie die Arbeitszeit an Sonn-und Feiertagen vorsieht) – derzeit keine Norm, die bei Verstoß gegen die Zeiterfassungspflicht ein Bußgeld vorschreiben würde. Deshalb verhängen die Behörden bei einer der (seltenen) Kontrollen nicht sofort Bußgelder, sondern ordnen im Sinne einer „Gelben Karte“ die Zeiterfassungspflicht für die Zukunft an. Wenn es erstmal so weit gekommen ist, kann sich ein Arbeitgeber – so wie im jetzt vom VG Hamburg entschiedenen Fall – aber gegen diese Anordnung nicht mehr mit Erfolg zur Wehr setzen.
Diese Praxis ist aber selbstverständlich kein Freifahrtschein für Arbeitszeitverstöße. Werden Arbeitszeitvorschriften (insbesondere Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Sonntagsarbeitsverbot) nicht beachtet, erhöht das nämlich zum einen die Gefahr (anonymer) Beschwerden und damit für Kontrollen der Behörden. Zum anderen können Behörden zwar wegen Verstoßes gegen die „allgemeine“ Zeiterfassungspflicht keine Bußgelder verhängen. Für sonstige Arbeitszeitverstöße gilt diese Einschränkung jedoch nicht. Gerade wenn ein Arbeitgeber wiederholt und in großem Stil gegen die gesetzlichen Pflichten verstößt, werden die Behörden voraussichtlich weniger nachsichtig sein.