BAG zur Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen – Sprengkraft für die Praxis
Dr. Nils Schramm
„Keine Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden“ – hinter dieser schlagwortartigen Zusammenfassung verbirgt sich eine aktuelle BAG-Entscheidung, die für die betriebliche Praxis erhebliche Sprengkraft haben kann und Unternehmen dazu veranlassen sollte, bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
Worum geht es? Im Streitfall hatte sich ein Mitarbeiter gegen ein neues Entlohnungssystem zur Wehr gesetzt, das durch eine Betriebsvereinbarung neu eingeführt worden ist. Mit dieser Betriebsvereinbarung sollte zugleich das bisherige – für den Mitarbeiter günstigere – Entlohnungssystem abgelöst werden, welches ebenfalls auf einer Betriebsvereinbarung beruhte. Um die neue, verschlechternde Betriebsvereinbarung aus der Welt zu schaffen, berief sich der Mitarbeiter darauf, dass diese mangels eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses nicht wirksam sei und damit auch das bisherige Entlohnungssystem gar nicht habe ablösen können. Konkrete Anhaltspunkte dafür lagen dem Mitarbeiter zwar nicht vor, aber dies war prozessual auch gar nicht erforderlich. Insoweit genügt nämlich – so das BAG – schon das bloße Bestreiten mit Nichtwissen, woraufhin der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, dass die Betriebsvereinbarung wirksam zustande gekommen ist. Ein zumindest schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen, insbesondere dann wenn der Abschluss der Betriebsvereinbarung schon Jahr(zehnt)e zurückliegt.
Im Streitfall hatte der Arbeitgeber in seiner Not darauf hingewiesen, dass die Betriebsvereinbarung vom Betriebsratsvorsitzenden unterschrieben und damit zumindest ein rechtswirksamer Anschein einer ordnungsgemäß abgeschlossenen Betriebsvereinbarung gesetzt worden sei. Dieses Argument ließ das BAG indes nicht gelten und stellte klar, dass ein Betriebsratsvorsitzender bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung immer nur im Rahmen ordnungsgemäß gefasster Betriebsratsbeschlüsse handeln kann. Auf eine sogenannte Anscheinsvollmacht des Betriebsvorsitzenden kann sich der Arbeitgeber nicht berufen.
Die BAG-Entscheidung hat für die Praxis erhebliche Sprengkraft, denn welcher Arbeitgeber kann schon die Hand dafür ins Feuer legen – oder besser gesagt: den gerichtsfesten Beweis dafür erbringen – dass die in seinem Unternehmen geltenden Betriebsvereinbarungen jeweils auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss beruhen?
Was ist zu tun? Das BAG folgt offenbar dem Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und zeigt folgenden Lösungsweg auf: Um die aufgezeigten Probleme zu vermeiden, ist der Arbeitgeber dazu berechtigt, zeitnah nach Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung den Betriebsrat dazu aufzufordern, ihm eine Abschrift des maßgeblichen Teils der entsprechenden Sitzungsniederschrift auszuhändigen. Neben dem Umstand einer Beschlussfassung und ihrem Zeitpunkt muss sich daraus auch das Stimmverhältnis und die Anwesenheitsliste ergeben, sodass die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats festgestellt werden kann.
Es kann nur dringend dazu angeraten werden, diesen höchstrichterlichen Lösungsweg bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen (und auch Interessenausgleichen) künftig zu befolgen. Ergänzend ist noch hinzuzufügen: Die Abschriften sollten sorgfältig aufbewahrt werden, damit im Fall des Falles auch nachfolgende (Personalleiter-)Generationen darauf zurückgreifen können.